Max-Planck-Institut für Festkörperforschung
Andersen Group LMTO C60 GW Clusters

Supraleitung in alkali-dotierten Fullerenen

Auszug aus dem Jahrbuch der Max-Planck-Gesellchaft 1996, pp. 446. (postscript file)

Abb. 1: Geometrie des C60 Moleküls.
Kondensierte Fullerene sind, neben den lange bekannten Modifikationen Graphit und Diamant, eine neue Modifikation des festen Kohlenstoffs. Von besonderem Interesse ist C60, ein Molekül mit 60 Kohlenstoffatomen (siehe Abb. 1). Das Molekül hat eine außergewöhnlich hohe Symmetrie. Es kann durch 120 Operationen (z. B. Drehungen und Spiegelungen) auf sich selbst abgebildet werden. Weiterhin hat jedes Atom genau dieselbe Umgebung. Die Polyederstruktur von C60 ist ein "gekapptes Ikosaeder" und war schon dem griechischen Mathematiker Archimedes (um 250 v. Chr.) bekannt. Diese Form hat seitdem viele Mathematiker und Künstler interessiert. Es wurde nach dem amerikanischen Architekten Buckminster Fuller (1895-1983) benannt, der ein ähnliches Konstruktionsprinzip für seine Kuppelkonstruktionen verwendete. Das Molekül wurde 1985 von Kroto, Smalley und Mitarbeitern entdeckt. Fünf Jahre später haben Krätschmer und Huffman eine Methode gefunden, um größere Mengen zu produzieren, wodurch Festkörperexperimente erst möglich wurden (siehe Jahrbuch 1991). Die C60-Moleküle kondensieren zu einem Festkörper, der mit Alkaliatomen dotiert werden kann. Ein solches System ist supraleitend, d.h. elektrischer Strom trifft auf keinerlei Widerstand. Die Supraleitung bleibt bis zu einer vergleichweise hohen Temperatur Tc bestehen, die bei geeigneten Alkaliatomen 40 K betragen kann. Diese hohe Sprungtemperatur wird nur von den Kupraten (Hochtemperatursupraleitern) übertroffen (siehe MPG Jahrbuch 1990).

Die Supraleitung entsteht, weil die Elektronen, trotz der Coulombabstoßung, in einer gewissen Hinsicht eine anziehende Wechselwirkung haben. Oft stellt man sich vor, daß ein Elektron, das sich durch den Kristall bewegt, die positiv geladenen Atomkerne anzieht und dadurch eine Spur von ausgelenkten Kernen hinterläßt. Wenn jetzt ein zweites Elektron, bevor die Kerne zu ihren Ausgangspositionen zurückgekehrt sind, sich entlang dieser Spur bewegt, spürt es eine Absenkung seine Energie durch die Wechselwirkung mit den Kernen. Dieses bewirkt eine effektive, anziehende Wechselwirkung zwischen den Elektronen. Die Kernschwingungen werden als Phononen bezeichnet, die effektive Wechselwirkung kommt also durch die Elektron-Phonon-Wechselwirkung zustande. Da die Kerne sich in der Regel sehr viel langsamer bewegen als die Elektronen, können die Elektronen ziemlich weit voneinander entfernt sein und dadurch ihre Coulombabstoßung stark reduzieren, aber immer noch die anziehende Wechselwirkung durch die Phononen empfinden. Diese Retardationseffekte werden deswegen als wesentlich für die Supraleitung in konventionellen Supraleitern betrachtet. Weil die Sprungtemperatur bei den Fullerenen ungewöhnlich hoch ist, besteht aber die Frage, ob ein Elektron-Phonon-Mechanismus ausreicht, um die Supraleitung bei den Fullerenen zu erklären. Erschwerend ist dabei, daß es auch fraglich ist, ob bei den Fullerenen die obengenannten Retardationseffekte die Coulombabstoßung effizient reduzieren können, wie unten diskutiert wird.

Ein freies C60-Molekül hat diskrete elektronische Valenzzustände über einen Energiebereich von etwa 30 eV. Wenn die Moleküle zu einem Festkörper kondensieren, bilden die vielen diskreten Zustände Energiebänder endlicher Breite. Weil aber die Wechselwirkung zwischen den C60-Molekülen schwach ist, sind die Bänder schmal (~ 1/2 eV), und die molekularen Zustände werden im wesentlichen zu nicht überlappenden Subbändern verbreitert. Um zu entscheiden, ob die Retardationseffekte bei C60-Verbindungen wichtig sind, möchte man die Energieskalen für die Elektronen und Phononen vergleichen. Die Energieskala der Phononen ist etwa 0.1-0.2 eV. Es ist jetzt aber die Frage, ob die relevante elektronische Energieskala die Breite eines Subbands (~ 0.5 eV) oder die Gesamtbreite aller Bänder (~ 30 eV) ist. Im ersten Fall erwartet man nur kleine Retardationseffekte, und es erscheint fraglich ob, nicht die Coulombabstoßung sehr viel stärker als die Elektron-Phonon Anziehung ist. Es müßte dann eine neue, unkonventionelle Erklärung für die Supraleitung geben.

Mott-Hubbard-Übergang

Bevor wir die Supraleitung diskutieren, möchten wir aber verstehen, wie die C60-Verbindungen überhaupt leitend sein können. Die effektive Coulombabstoßung (ohne Retardation und metallische Abschirmung) zwischen zwei Elektronen auf einem Molekül liegt bei U=1.0-1.5 eV. In den supraleitenden Verbindungen füllen drei Elektronen ein Band zur Hälfte. Die Coulombabstoßung wird minimiert, wenn es exakt drei Elektronen auf jedem Molekül gibt. Ein solcher Zustand ist lokalisiert und das System ist ein Isolator. Die Coulombabstoßung wirkt aber dem Hüpfen der Elektronen zwischen den Molekülen entgegen. Wenn das Hüpfen wichtig ist, erwartet man deswegen einen delokalisierten, metallischen Zustand. Als Maß für das Hüpfen können wir die Bandbreite W verwenden. Wenn U/W>1, erwartet man einen Isolator (einen sogenannten Mott-Hubbard-Isolator), andernfalls ein Metall. Für die supraleitenden Fullerene beträgt U/W~ 1.5-2.5. Man sollte deswegen erwarten, daß sie Isolatoren sind.

In C60 wird das halbgefüllte Band von einem Molekülzustand mit der Entartung N=3 gebildet. Frühere Theorien für Mott-Hubbard-Isolatoren haben nur den Fall N=1 berücksichtigt. Wir haben jetzt die Theorie auf beliebige N erweitert und gezeigt daß sich die Entartung unterschiedlich auf die (Einteilchen-) Bandbreite W und die gesamten Hüpfmöglichkeiten auswirkt. Aus allgemeinen Überlegungen erwarten wir deswegen das Kriterium U/W~ N1/2 für einen Mott-Hubbard-Übergang. Diese Überlegungen wurden durch aufwendige Monte-Carlo-Rechnungen untermauert. Wir haben die Bandlücke Eg für ein Clustermodel mit M C60-Molekülen berechnet, und möchten entscheiden, ob für M --> unendlich Eg --> 0 gilt. Abbildung 2 zeigt E'g(U)=Eg(U)-U/M- Eg(U=0) als Funktion von 1/M. Die Terme U/M und Eg(U=0) sind Beiträge zu der Bandlücke für endliche Systeme, die für unendliche Systeme verschwinden und deswegen den extrapolierten Wert (M --> unendlich) nicht beeinflussen. Aus der Abbildung finden wir das Kriterium U/W=2.0±0.4 für einen Mott-Hubbard Übergang. Dies erklärt, warum die dotierten C60-Verbindungen Metalle sein können.

Abb. 2: Die modifizierte Bandlücke E'g als Funktion von 1/M, wobei M die Zahl der C60-Moleküle ist. Die Bandbreite W ist 0.63 eV; es wurden verschiedene Werte von U untersucht.

Elektron-Phonon Kopplung

Die für die Supraleitung wichtigen Phononen sind die Schwingungen innerhalb der C60-Moleküle, während Schwingungen zwischen den C60-Molekülen oder zwischen C60-Molekülen und Alkaliatomen weniger wichtig sind. Für die Elektron-Phonon-Wechselwirkung der intramolekularen Schwingungen gibt es mehrere theoretische Rechnungen, u.a. von unserer Gruppe. Die Unterschiede zwischen den Rechnungen sind aber erheblich und die tatsächliche Stärke der Wechselwirkung ist unklar. Es ist deswegen auch von großem Interesse, zu versuchen, Information aus Experimenten zu extrahieren.

Ein solches Experiment ist die Photoemission von freien C60--Anionen. Dieses Experiment bietet sich an, weil das System verhältnismäßig einfach und eine relativ genaue theoretische Analyse des Experiments möglich ist. Wenn ein Elektron im Photoemissionsprozeß von einem Molekül losgelöst wird, spüren die Phononen dies durch die Wechselwirkung mit dem Elektron. Es gibt deswegen eine endliche Wahrscheinlichkeit, daß ein Phonon gleichzeitig angeregt wird. Diese Anregungswahrscheinlichkeit ist ein Maß für die Elektron-Phonon-Wechselwirkung. Wir setzen Kopplungskonstanten für die verschiedenen Phononen an und berechnen das Photoemissionspektrum so genau wie möglich. Das berechnete Spektrum wird dann mit dem Experiment verglichen und die Kopplungskonstanten werden geändert, bis eine gute Übereinstimmung mit dem Experiment erhalten wird. Dies führt zu experimentell hergeleiteten Schätzungen der Kopplungskonstanten. Obwohl das studierte System relativ einfach ist, sind die Rechnungen sehr aufwendig, weil wir sowohl den sogenannten Jahn-Teller-Effekt als auch Multi-Phononen-Anregungen berücksichtigen müssen. Unter Verwendung der sogenannten sudden approximation führt dies zu einer Matrix der Größe 55·106 × 55·106, für die wir den niedrigsten Eigenwert und den entsprechenden Eigenvektor mit der Lanczos-Methode finden.

Abb. 3: Experimentelles (Punkte) und theoretisches (durchgezogene Linie) Photoemissionspektrum von C60-. Die theoretischen Spektren ohne Phononenanregung (gestrichelt), mit einer (gepunktet), zwei (Strich-Punkt), oder drei (lang-gestrichelt) Phononenanregungen sind auch gegeben. Die Beiträge der verschiedenen Phononen zu dem Spektrum mit einer Phononenanregung sind mit "bars" eingezeichnet. Das kleine Bild zeigt das Spektrum über einem größeren Energiebereich.

Abbildung 3 zeigt einen Vergleich zwischen den theoretischen und experimentellen Spektren. Der Peak bei Null ist der Hauptpeak, bei dem keine Phononen angeregt wurden. Die Struktur bei etwa 500 1/cm entspricht Anregungen von einem der beiden Phononen mit den niedrigsten Energien, die Struktur bei etwa 850 1/cm entspricht den beiden nächsten Phononen, usw. Aus diesem Experiment wurde eine dimensionslose Gesamtkopplungskonstante \lambda ~ 1 hergeleitet, die größer als die früher berechneten Werte ist (typisch \lambda ~ 1/2).

Retardierung und dielektrische Abschirmung

Um die Retardationseffekte zu studieren, haben wir zuerst im Rahmen der traditionellen Theorie gearbeitet. Hier werden sogenannte Leiterdiagramme summiert. Diese beschreiben, wie die Elektronen durch wiederholte Streuung einander ausweichen und dadurch die Coulombabstoßung reduzieren können. Wir haben die für diese Theorie benötigten Matrixelemente in einem realistischen Modell berechnet und die Summation durchgeführt. Dies führt zu der Schlußfolgerung, daß die relevante Energieskala für die Elektronen viel größer als die Subbandbreite ist, und daß die Retardationseffekte wichtig sein sollten.

Dieses Ergebnis beruht aber auf eine Aufsummierung einer gewissen Klasse von Diagrammen. Wir haben aber andere Klassen von Diagrammen gefunden, die auch wichtig sind. Weil es sehr schwierig ist, alle wichtigen Diagramme zu finden und aufzusummieren, haben wir ein völlig anderes Verfahren verfolgt. Wir haben ein einfaches, aber für C60 relevantes Modell konstruiert, das zwei von den vielen Bändern in C60 simulieren soll. In einem relevanten Grenzfall können wir dann unter Verwendung einer Projektionsmethode zeigen, daß die Retardationseffekte klein sind. In diesem Grenzfall führt aber die Aufsummierung von Leiterdiagrammen zu der falschen Schlußfolgerung, daß die Retardationseffekte sehr wichtig sein sollten. Wir folgern daraus, daß die Leiterdiagramme zu unzuverlässigen Ergebnissen führen können und daß die Retardationseffekte auch für C60 wahrscheinlich nicht besonders wichtig sind.

Die Coulombabstoßung wird aber nicht nur durch Retardationseffekte, sondern auch durch Abschirmeffekte reduziert. Wenn sich zwei Elektronen annähern, können sich andere Elektronen entfernen. Dadurch wird effektiv eine positive Ladung induziert, die die Abstoßung zwischen den zwei Elektronen reduziert. Wir haben diese Abschirmeffekte innerhalb der sogenannten RPA-Näherung berechnet. Wir finden in dieser Näherung eine sehr effiziente Abschirmung und eine stark reduzierte Coulombabstoßung. Die effektive Abstoßung wird oft durch einen dimensionslosen Parameter \mu* (Coulomb-Pseudopotential) charakterisiert. Wir finden \mu* ~ 0.3-0.4. Dies ist wesentlich größer als der für konventionelle Supraleiter angenommene Wert (\mu* ~ 0.10-0.15), aber nicht übermäßig groß. Die relative starke Elektron-Phonon-Kopplung, die wir von der Photoemission erhalten haben, reicht daher wahrscheinlich aus, um die Supraleitung zu erklären.

Unsere Schlußfolgerung ist deswegen, daß die C60-Verbindungen wahrscheinlich konventionelle Supraleiter mit einem Elektron-Phonon-Mechanismus sind.


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